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AutorenbildHelmut Geiselhart

Manager müssen Unternehmen wieder nach ganzheitlichen Idealen führen

Es ist still geworden um allein gültige Managementlehren. Denn für Unternehmen brauchen wir keine Konzepte, die mit pseudoreligiösem Anspruch versehen werden, sondern solche, die das ganze Unternehmen betreffen.


In den vergangenen Jahren sind verschiedene Management-Theorien aufgetaucht und wieder verschwunden:Reengineeringsollte Unternehmengrundlegend erneuern. Manche Firmen sind dabei auf der Strecke geblieben.ISO 9000: Die Veranstalter konnten nicht genug Seminare anbieten. Die Nachfrage hat stark nachgelassen.


Balanced Score Card: aufwendig, kompliziert und umständlich. Es ist nur noch selten die Rede davon. Am längsten wird an den Zielvereinbarungen mit Führungskräften festgehalten. Aus Mitarbeitern sollten selbstbestimmte Unternehmer werden, die selber darüber verfügen, wie viel sie verdienen. Es stellte sich heraus, dass sie fast immer ihre Ziele erreichten und das Geld kassierten. Arbeiten im Sinne des Ganzen kam an zweiter Stelle. Langsam rückt man wieder davon ab.

Die Einführung dieser Methoden ist mit viel Zeit und Geld verbunden, sie werden empfohlen und gerühmt und verblassen ohne bleibenden Nutzen und tief gehende Veränderungen. Sie werden eingestellt, um schädliche Nebenwirkungen zu vermeiden.


Natur als Modellvorlage


Warum kommt es dazu? Diese Frage ist erlaubt, weil es so aussieht, als würde mit „Agilität“ das Scheitern des nächsten Rezepts vor unseren Augen stattfinden.

Die Modelle für Unternehmen stammen aus der Natur: Schwarmintelligenz, Agilität, Selbstorganisation. Sie sind einfache Programme, Bewegungen ohne Inhalt oder gar komplizierte Zusammenhänge. Nur wenige verstehen jemals, was mit Selbstorganisation gemeint ist.

Schwarmintelligenz ist ein ganz einfacher Algorithmus, entspricht dem sensomotorischen Reflexbogen, wo ein Impuls aus den Sinnesorganen über das Rückgrat direkt in die Muskeln weitergeleitet wird, ohne dass das Gehirn dazwischengeschaltet wird.


Die Welt des Menschen basiert auf anderen Vorgängen: der Sprache, der Kultur und der Philosophie. Modelle aus der Natur sind Abläufe ohne Geist, Muster, die ohne Sprache stattfinden und ohne Denken. Das ist es aber, was den Menschen ausmacht und von den Tieren unterscheidet.


Weil wir über die Dinge der Natur sprechen können, schaffen wir eine Distanz zwischen uns und der Natur, die Autonomie bedeutet und uns frei macht von natürlichen Zwängen. Aus diesem Zwischenraum, der unsere Freiheit bedeutet, schaffen wir Kultur, dort liegt unsere Gestaltungsmacht, dort werden wir kreativ und zu Künstlern.

Die Sprache ist Voraussetzung für unser rationales Denken, für philosophische Systeme und kulturelle Werke.


Zeiten, in denen die Philosophie des kritischen Rationalismus herrschte


Erinnern Sie sich noch an die Zeit, da Helmut Schmidt Bundeskanzler war, Alfred Herrhausen Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und Klaus Liesen Aufsichtsratsvorsitzender von VW? Durch seine Unterstützung des Nato-Doppelbeschlusses hat Helmut Schmidt zum Ende des Kalten Krieges beigetragen.


Die Deutsche Bank unter Herrhausen war ein kulturell hochstehendes Unternehmen mit großem internationalem Ansehen – wirtschaftlich ungewöhnlich erfolgreich.


VW blickte in den Abgrund, als Liesen Aufsichtsratsvorsitzender wurde. Durch strategische Neuorientierung und andere Personalentscheidungen eröffnete er dem Unternehmen neue Perspektiven.


Schmidt, Herrhausen und Liesen waren in Bereichen tätig, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Etwas hatten sie gemeinsam: die Philosophie des kritischen Rationalismus von Karl Popper. Herrhausen war sogar persönlich mit dem Philosophen befreundet.


Niemand ist im Besitz der Wahrheit. Rechthaber und Besserwisser brauchen wir nicht. Auf dem Weg zur Wahrheit sind wir auf andere angewiesen. Kritikfähigkeit, d. h. bereit sein, zu kritisieren und sich kritisieren lassen, ist entscheidend. Es geht um nichts sonst als um die bessere Lösung.


Helmut Schmidt hat mitgewirkt an einem welthistorischen Ereignis, Herrhausen und Liesen haben ihre Unternehmen so geführt, dass man bei einem Vergleich mit heute Tränen in die Augen bekommt.


Nicht operatives Gewurstel oder organisatorische Hektik hat ihr Handeln geleitet, sondern eine philosophische Grundüberzeugung: kritisch, zukunftsorientiert und auf der Suche nach dem Besseren.


Gefragt sind ganzheitliche Unternehmenskonzepte


Für Unternehmen brauchen wir keine Konzepte, die mit pseudoreligiösem Anspruch versehen werden, sondern solche, die das ganze Unternehmen betreffen: seine Organisation, seine Kultur, seine Methoden und sein Verständnis vom Menschen. Sie sind derart gestaltet, dass sie vor allem aus Lernprozessen bestehen und sich gegenseitig in Lernprozessen verstärken (Peter Senge).


Überichmenschen und Selbstdarsteller sind nicht gefragt. Wir brauchen dazu auch Führungskräfte, die nicht mehr als Überichmenschen funktionieren oder als Selbstdarsteller auftreten, weder zwanghafte Ideologen noch abhängige Populisten, sondern Spieler, Künstler, Mystiker.


Unsere Gesellschaft erlebt eine weitreichende Umbruchzeit, verursacht dadurch, dass Nanotechnologie, Biowissenschaften, Informatik und Kognitionswissenschaften zusammenfließen und sich gegenseitig beeinflussen.


Stattdessen: Spieler, Künstler und Mystiker


Spieler sind Menschen, die in einem Möglichkeitsraum immer wieder neue Chancen sehen, sich von Fakten nicht erdrücken lassen und aus Niederlagen wieder für die nächste Runde lernen.


Künstler verbinden hohes Können mit Begeisterung, die mitreißt. Sie selber können sich bewegen zwischen sachlicher Leistung und emotionalem Aufbruch.


Mystiker werden in ihrem Leben von einer Idee erfasst und leben von einem Ereignis her, das sie in den Tiefen ihres Wesens ergriffen hat, an dem sie von da an ihr Leben orientieren und mit einer ungeheuren Energie versehen.


Paulus gründet eine Weltreligion. Franziskus schafft eine Bewegung, die die Jugend europaweit erfasst. Ignatius von Loyola gründet eine Gesellschaft, die in kurzer Zeit tausend Mitglieder zählt. Sie sind weltweit unterwegs. Er leitet sie per Brief. Heute bilden sie ein Unternehmen mit 20.000 Mitarbeitern.


Geist statt blinde Natur, Vielfalt im Denken statt monokausale Aktivität, Begeisterung und Können sollten unsere künftigen Zauberworte sein.


Der Autor ist Gründer seines eigenen Instituts „Geiselhart Seminare" und BILANZ-Kolumnist.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 18.10.19 auf Bilanz veröffentlicht.

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